Die Flügel der Menschheit

Wer nach Kirgistan reist, der tut das zugebener Maßen nicht unbedingt wegen der besonders schönen Städte, wobei Bischkek wirklich eine hübsche grüne Stadt ist.

Nein, wen es nach Zentralasien verschlägt, der hat in den allermeisten Fällen ein anderes Interesse: nämlich die unberührte Natur. 

Tagelang kann man in den Weiten der Hochebenen unterwegs sein, ohne irgendeiner anderen Menschenseele zu begegnen. Völlig allein ist man dann aber doch selten, denn es gibt andere Wegbegleiter. Die Vierbeinigen nämlich.

Pferde und Kirgistan, das gehört zusammen wie Pech und Schwefel oder Sommer und Kumys.

Nicht ohne Grund lautet ein bekanntes Sprichwort ja auch„Pferde sind die Flügel der Menschen“. In Kirgistan geht insbesondere in den Bergen niemand freiwillig zu Fuß. Man reitet. Und wer gerade kein Pferd parat hat, setzt sich einfach mit auf das seines Mitreisenden. Reiten lernen die Kinder parallel zum Laufen. Oft sieht man sie auch auf Eseln durch die Gegend flitzen oder sich auf erstaunlich kreative Weise auf den Rücken der Pferde hangeln.

At, das ist das kirgisische Wort für Pferd. Vielleicht hast du schon mal von der Ortschaft At-Bashy gehört, die übersetzt Pferdekopf bedeutet.

Fun Fact: Auf Kirgisisch sind die Worte für „mein Name“ und „mein Pferd“ gleich. Sagt doch alles, oder? 

Und wie ist es so, das kirgisische At? 

Sagen wir so – nicht unbedingt einheitlich. Kirgisische Pferde sind durchschnittlich zwischen 1.30m bis 1.50m groß, stehen aber nicht im klassischen Ponytyp. Über viele Jahrhunderte hinweg entstand der Kirgise vermutlich aus eingeführtenMongolenponys. 

Während der Sowjetzeit wurden vermehrt auch durch den Einsatz von Orlow Trabern größere und leichtere Sportpferde gezüchtet, der Novo-Kirgise, wobei sich langsam wieder auf eine Rückzüchtung zum Ursprungstyp besonnen wird. 

Es gibt sie in allen Farben außer Windfarben – sogar Tigerschecken, Schabrackentiger und Farbwechsler sind oft vertreten. Die Tiere sind kompakt mit einem geraden Rücken, trockenen Beinen, kleinen Hufen, dünner, seidiger Mähne und haben meist gerade Köpfe oder leichte Ramsnasen. Ähnlich wie Isländer beherrschen einige Pferde neben den drei Grundgangarten noch den Pass (diese Pferde werden Zhorgogenannt) und einige sogar eine Art Tölt. 

Die Sommermonate verbringen sie halbwild auf den Bergweiden. Nur die Hengste werden geritten, Stuten mit Fohlen sorgen mit ihrer Milch dafür für eine ausreichende Kumys-Versorgung. 

Die Pferde sind mutig, freundlich, kräftig, ausdauernd und unbeschreiblich trittsicher – wer einmal auf einem Kirgisen einen Berghang hinaus- oder herabgekraxelt ist und sich durch reißende Flüsse hat tragen lassen, der wird verstehen, was ich meine. 

Ohne die Pferde wäre eine halbnomadische Lebensform schlichtweg nicht möglich. Sie sind Lasttier, Arbeitstier, Taxi und Nahrungslieferant in einem. 

Die Flügel der Menschen eben.

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